31.12.2014

Gute Nachrichten


zum Jahresende 2014 aus Kairo: Der Greek Club hat wieder Bier und Wein im Angebot.  Wer dies zum Anlass nehmen möchte, sich vielleicht ein wenig mehr wieder mit Kairo zu beschäftigen, dann sollte er oder sie lesen. 
Hierzu eine kleine Auswahl aus dem Vantage Point World Verlag: Abduh Gubeir: Sabil al-Schachs, Kerstin Parlow: Almost Home, Enaam Magdi: Ägypten Stories.
Wir wünschen allen auf der Welt ein gutes neues Jahr 2015!

14.12.2014

Der Greek Club - ein Stück Seele in Downtown Kairo geht verloren


Der Greek Club, der griechische Club, war das Ziel. Es sollte ein Abend mit besonderer Atmosphäre sein, anregend für Beide, soviel Austausch wie möglich über das, worüber sie sich in den vergangenen Jahren, den „Revolutionsjahren“, nicht austauschen konnten. Ein Deutscher und ein Ägypter auf einem außergewöhnlichen Ausflug nach Downtown Kairo.

Sie hatten das Auto erstaunlich problemlos am Groppi geparkt und stiegen, nachdem der 'Bawab' gesagt hatte: „ayyuha maftuh (ja, es ist offen)“, entschlossen die Treppe hinauf. Aber hier schon im Treppenhaus war nur gähnende Leere, und als sie oben, völlig allein durch den Flur stiegen und in die Club-Halle kamen, wurde ihnen klar, hier war das Ende einer Kairoer Institution besiegelt. Von dem einzig und alleine anwesenden Angestellten, man kannte sich noch von früher, wurde es ihnen gesagt. Auf Anweisung des griechischen Botschafters wird es hier kein Bier und keinen Wein mehr geben... Und auch die Sessel waren neu, mit weißen Bezügen. Das Ganze vermittelte einen Eindruck von dem, wie der Botschafter sich die Zukunft des Clubs vorstellen würde. Eine Art „posch“ im Stil, aber auf die preiswerteste und einfachste Art, ein neues Klientel und ohne diese misslichen Getränke.
Empört war der Deutsche, sicher mehr als hundert Jahre hat dieser Club seine Lizenz verteidigt, gegen wen auch immer, alle Revolutionen überstanden, immer wurde hier noch, während draußen die schlimmsten Krawalle tobten, diskutiert. Immer war es ein Treffpunkt der Intellektuellen, Ausländer, der Griechen mit oder ohne ihren Familien, Freunde, Paare...Immer gehörte es für sie zur Seele Kairos. Hier durfte man sich auch durch Zufall treffen, und sei es, dass es dem Respekt vor einem Amt nicht förderlich war.
Empört war auch der Angestellte, nein, es war nicht auf Druck der ägyptischen Regierung, nein, es war nichts passiert, kein terroristischer Anschlag, oder so. Es war die alleinige Entscheidung des Botschafters...
Allen war klar, es sollte von nun an in der Kairoer Stadtkultur nicht mehr so 'griechisch' repräsentiert werden,  kein Austausch mehr bei besten ägyptischen Bieren und Weinen im Greek Club. Wo könnte man die noch trinken? Und wo sollte man von jetzt an noch ein so einfaches 'Kalbsschitzel' und neben den ägyptischen Salaten noch Kartoffelsalat oder gar „Rote Beete“ bekommen?   
Ich teilte dies Kerstin mit. Sie schrieb zurück: „Empört … wäre ich auch, wenn ich da kein Bier mehr bekommen würde. Da gab es doch sogar im Ramadan was zu trinken tagsüber. Waren einfach die Fensterscheiben zugemalt (....) und alle waren zufrieden.“

Kerstin Parlow hatte in ihrem Buch Almost Home ein eindrucksvolles Foto: Im gelben Café, Kairo (Greek Club) (S. 68/69) veröffentlicht. Hier mit ihrer Zustimmung nochmals das Bild:
   






23.11.2014

Lesung aus Nizza im Dezember


Lesung aus Nizza zur Unterstützung des Crowdfondings (http://www.startnext.de/rot02) von Ausstellungsraum Eulengasse, Frankfurt: Sonntagsmatinee 7. Dezember 2014, 11 Uhr Seckbacher Landstraße 16 Frankfurt - Bornheim Eintritt 4 Euro

26.10.2014

Parnassius Apollo

Wie jetzt
Parnassius Apollo
Schlürfte ich
In den letzten Zügen
Den Honig
Aus der Distelblüte

Nie
Wie konnte ich es wissen
War mir auf hohen Hängen
Der Schmetterling
Der königliche
Begegnet

Schwarz und weiß
Enge und breite Muster
Wärs nicht die Wissenschaft
Und rote Ringe
Die drängend jetzt
Mich darauf brachten

Auf diesen Ritter
Der sich sterbend noch
Genoss
In vollem Zug und Stille

M.E.Stroughton

16.07.2014

Ankündigung

Sabil al -Katkhuda (Foto: A.Krause)
September/Oktober 2014: SABIL AL-SCHAHS von Abduh Gubeir

22.06.2014

Der Grüneburg-Park und die Brunnen, Vasen und Urnen des Lebens

Wir gehen fast jeden Sonntag da vorbei, die schnellen Blicke dorthin vergessend, da stehen sie diese Vasen und Brunnen des Lebens, während wir vorbeihuschen, mit dem Rad oder ohne, mit Hund oder ohne, trimm trabend oder auch nur flanierend, vorbei, kaum, dass wir uns ihrer erinnern. Dann passiert auch das, das nähere Hinsehen und in Gedanken nach Flaneurs-Art ein Empfinden, ein Suchen nach Bedeutung und Sinn. Worum handelt es sich eigentlich? Könnten es, diese hier eingeritzten Bilder, Versuche sein, eine verlorene Zeit am Leben zu halten?  In Stein geritzte, nackte Menschenkörper aus anderen Zeitaltern, so nebenbei in dieser gestalteten Natur des Parks zu erhalten, sie zurückzubringen gar als Merkbilder massenartiger orgiastischer Liebeskulte aus einer alten, offenen Welt? 



 
Das Petit Palais der Grüneburg wurde, so steht es auf einem Stein, 1856 fertiggestellt. Man fragt sich, ob etwa in der Mitte des 19. Jh. noch, als man dieses kleine Schlösschen in die stille Welt der Hügel überm Frankfurter Westend gebaut hatte, ein Blick zurück noch lebendig war? Frühe Antike? Bewegter Anteil am ‚Orient‘, an dieser orgiastischen Welt des Méditerranée? Welche alten Standpunkte und Visionen sollten hier etwa im steinernen Abdruck noch erlebbar gehalten werden?
Andere würden sich fragen, was soll der Kitsch? Diese als Ur-Reste früher Kultur uns vorgestellten Erscheinungen, sind sie doch nichts anderes als die rohe Schein-Kunst eines schlechten Steinhauers?  Wiederum andere könnten fragen, ob es sich nicht doch um künstlerische Vorstellungen handelt, aus jenem Teil der Welt, die die damals gerade der kolonialen Besatzung anheimgefallen war. Als handelte es sich um ins Große übersetzte Rollensiegel. Widerspiegelungen der einst so hohen hethitischen Kunst. Übersetzungen der einst authentischen Insignien von Macht? Und doch Körperbilder sich liebender Menschen, Einzelne in der Masse, nackt in Gottes Welt oft eng aneinanderhängend, In einen Rollenzirkel gepresst.
Und wer Wunderfantasie liebt, könnte sich fragen, erscheinen sie uns nicht wie Engel, die in die Kurve fliegend auf uns zukommen?
So lebendig können sie sein, bei all diesen Fragen, und doch sind sie platt in Stein gehauen und fast nebensächlich, als wären sie da vergessen worden, in den von uns allen so geliebten Naturgarten hinein gestellt.

Vom Grünen Berg zum Palais Grüneburg, das ist eine lange Geschichte mit vielen Wechseln unter den Eigentümern. Zuletzt die Zwangsenteignung einer jüdischen Familie 1935 durch die Stadt Frankfurt. Als das Palais 1944 nieder gebombt und zerstört schließlich als Park der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wurde, blieben vereinzelt, gleich wie man es nach Zustand und Scherben beurteilt, Brunnenschalen, Vasen oder Urnen,  drei oder vier Stücke im Park stehen. Erhalten sind sie in nächster Nähe der auf der Rasen und Rosen getragenen Gedenkfläche, unter der die Ruinen des Schlosses noch lagern müssten.
Wenn man Halt macht und sich fälschlich erinnert, kommt einem bei den gezeigten Steinmenschen und Tieren, neben der Sache mit dem Rollensiegel der hethitischen Fürsten, auch ein Kriegsbild des großen französischen Malers Picasso von 1936 in den Sinn, das Bild, das Tier und Mensch, Ruinen und Licht, auf schlagend zyklischer Weise in einer modernen Kriegsszene vermischt. Vor allem aber das Rund der oben auf der Fläche stehenden breiten Schale enthält so archetypisch, ineinander geschüttelte Formen, und wenn sie auch Liebe überall zeigen, so haben sie doch auch dieses archaische Körperspiel. Man verzeihe es uns, in dieser aufgewirbelten, rollenden Form, stehen sie den Impressionen des Guernica-Gemäldes von  Picasso in nichts nach. Sie vermitteln  in gleicher Schärfe, wenn auch eben in ganz anderer szenischer Komposition, das Gefühl von der archetypischen Körperlichkeit des Menschen, ein Gefühl, das uns heute aus den Kriegsbildern vom Orient wieder entgegenschlägt!

Neben der eindrucksvollen Rundschale, nur wenige Meter davon entfernt, wurde 1968,  in der Zeit des Drangs nach neuer, freierer, offener Welt, für den Frankfurt gerade damals so sehr einstand, ein eigenartig karg-rationales Mahnmal errichtet. Eine kantige Gedenkstele aus schwarzem Holz steht neben der Schale mit den rotierenden Körpern des orientalischen Fests und Glücks, als brauchte es ein Stück puritanischer Trauer auf dieser Rasenfläche über der Palais-Ruine. Und so erinnert die dunkle Stele an die Kriegsnacht, in der dieses einst von jüdischen Mitbürgern der Stadt geeignete Bauwerk vollends zerstört wurde. 
Von weit her erheben sich der Fernsehturm nach Norden und nach Süden der Messe- und die Bankentürme über das unvergleichliche je nach Jahreszeit grüne, aber immer wild bunte Parkgelände. Dieses wird nun unter grün-roter Stadtführung einer vollständigen Erneuerung unterzogen. Da war es uns ein Anliegen, eben noch auf diese, von ihrer „Überlebensgeschichte“ her so anregend planlos verorteten, archetypischen und visionären Schätze im Grüneburg-Park hinzuweisen.   
 

03.06.2014

Porridge oder Haferschleim


Einmal, so stell dir vor, an einem Morgen kam Maurice zu Amalso, er war ganz weinerlich. Er sagte, „Ich hatte heute Porridge zum Frühstück, ist mir aber nicht bekommen.“ Amalso war erstaunt, „Porridge? Ist das etwa dieser Haferschleim, mit dem man uns in den ersten Nachkriegszeiten ans Leben gewöhnt hat?“ „Ja, du weist es ja, in meiner englischen Umgebung hieß das Porridge, ich habe das Wort und später auch die Speise geliebt. Als ich meine Kinder groß zog, war Porridge einfach „in“!
„Es kann aber doch nicht sein, dass du nur gekommen bist, um mir das mitzuteilen.“ „Nein, stell dir einmal vor, da hat sich doch jemand über den „englischen“ Namen meines Verlags mokiert. Er hat zwar gemeint, über Namen dürfe man sich nicht ungestraft mokieren, hat es aber dann doch getan, und meint wohl auch, so davon zu kommen.“ „Was meinst du? War dies nun zu Recht?“ „Ich bin mir nicht sicher. Es ist ja nicht nur eine Frage des Anstands, aber ich glaube, er versteht das Wort, er versteht den Namen nicht. Ein gebildeter Mensch, aber er verlässt sich nur auf Langenscheid oder Schöffler-Weis!“ „Das tun doch alle, also hat er gar nicht so Unrecht!“ „Kann sein! Jedenfalls übersetzt er „vantage point world“ als „Vorzugspunkt Welt“, es entgeht ihm dabei, dass es sich um eine amerikanische Wendung handelt, die Amerikaner haben dem Wort aber dabei den Ruch des Vorurteils, als handele es sich um „Rang“, genommen, sie sprechen neutral von „vantage point“, wenn es sich um Standpunkt, Perspektive oder Blickwinkel handelt. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass mein Geliebter Henry James, es immer so nahe meint mit diesem Wort, und es immer dann anbringt, wenn es sich um einen Observierungspunkt handelt, in den sich eine Person rückt. Jedenfalls ist diese Sache der Vorteilsnahme, die man mit „advantage“ im Ohr hat, im Amerikanischen, eben „vantage point“, ganz weg.“ „Da soll einer schlau draus werden! Dein Kritiker hat Recht“ meinte Amalso, „ich bin sicher, du hast den Namen nur gewählt, um dir einen „google“-Vorteil zu verschaffen!“
„Das ist gehässig!“ antwortete Maurice und spürte, dass er jetzt entschlossen ein vom Porridge herkommendes Magendrücken zu bewältigen hatte. Er fügte hinzu: „Wie, wenn man jeden, der Moshe, Chris oder Muhammad heißt, einen falschen Propheten nennen würde, was? Oh, man könnte viele Rachegelüste wecken und vielleicht sogar bestraft werden! Verstehst du es, es ist dumm, sich über Namen zu mokieren, da hat der Kritiker Recht, gerade dann, wenn man in der Sucht als Prophet des deutschen Sprachraums aufzutreten, den Wörtern ihren Lebensraum in der Welt nehmen will.


30.03.2014

Amalso und Ägypten


Ab und zu liest Amalso „ägyptische“ Berichte, so zum Beispiel die englische Seite „Mada Masr“ (Was ist Ägypten? Keine Angst, weltoffen und freiheitsliebend!). Auf dieser Seite, wo jüngst eine amerikanische Studentin aus Anlass des Ägyptenbesuchs ihrer Eltern den Platz dafür bekam, war zu lesen, wie man den Ägyptern eine Lektion darin erteilt, was sie zu tun haben, wenn sie Touristen von außen, von Amerika zum Beispiel, wieder ins Land locken wollen. Versteht sich, man muss es Ihnen jetzt nach drei Jahren „Revolution“ sagen, was die Touristen wollen. Denn, wenn sie schon von den Touristen leben wollen,  müssen die Ägypter erst einmal ihr Haus, ihr Land, ihre Museen etc. wieder in Ordnung bringen. Ein wohlmeinender Rat!
Was aber war die Erfahrung der Eltern, die trotz dieser schwierigen Zeit wohlgesinnt nach Ägypten kamen? Amalso meinte gelesen zu haben, dass sie vor allem eines gefordert hätten: Macht die Straßen sauber, zieht die Polizei und die Armee aus der Öffentlichkeit ab, schafft eine vernünftige Arbeit für die wie Schädlinge herumlungernden Andenkenhändler und Bettler… präsentiert eure goldenen Schätze schön und gepflegt! So oder so ähnlich lauteten die Belehrungen des beobachtenden, touristischen Publikums, das in diesem Falle aus Amerika kam. Voilà, warum nicht!
Apropos Publikum! Wer von den guten Demokraten und Freiheitsliebenden jetzt noch nach Ägypten fährt, muss sich zunächst einmal einem gewissen Spießrutenlauf unterziehen, denn Verwandte und Kollegen rümpfen die Nase: Zu gefährlich! Willst du etwa diese Armee unterstützen, diesen neuen Diktator? Sagen sie. Das sind gebildete Menschen, die wissen, wann ein religiöser Präsident oder ein militärischer zum Diktator wird, wann eine Armee unmoralisch ist und gefährlich, jedenfalls die ägyptische ist es.
Also finden in diesen Tagen die touristischen Attraktionen des Landes nur ein auserwähltes Publikum. Man hat Mut, eine studierende Tochter, oder sonst irgendeinen außergewöhnlichen Grund. Ist das vielleicht der Anlass dafür, dass man jetzt plötzlich Dinge hier sieht, die man sonst in New York, Berlin oder Paris nicht sieht: Armut, Gewalt der Polizei, Präsenz des Militärs, ein Heer von Bettlern und sich selbst überlassenen Andenkenverkäufern oder Arbeitslosen?

23.02.2014

M.E. Strougthon, Alexandria und das Union


M.E. Strougthon, der Autor des Romans "Alexandria" , hat uns freundlicherweise diese uralte Menükarte des "The Union" aus dem Alexandria des Jahres 1927 zur Kenntnisnahme übersandt. Handelte es sich doch um jenes berühmte Restaurant im besagten Roman. Wir möchten sie daher unseren Lesern nicht vorenthalten:
 


 
 Thanks to Mr. Ferguson, Cambridge! Certainly, also, he could confirm that little had changed 1969 in the Union Menue, when he and his friend Santwaller, the befriended heros of "Alexandria" used to dine at the place. Except, of course, that quite some of these items where not available at that time. M.E. St.
 


02.02.2014

Meyre Falco von M.E. Strougthon


Walter, ein deutscher Intellektueller in Italien, bezeichnete sich bei Gelegenheit mit großer Geste als das einzig übriggebliebene Exemplar dieser sonst ausgestorbenen Spezies Mensch. Er hatte sein Haus in den Piemonteser Alpen für eine Woche an ein junges Paar aus Berlin vermietet und sich selbst in ein kleines Hotelzimmer in Albenga zurückgezogen. Zu Recht hoffte er dort an der ligurischen Küste auf lieblicheres Wetter, konnte er so doch der Kälte des sterbenden Winters entfliehen, ja, wahrlich touristischen Frühjahrssehnsüchten der 1950er Jahre nachträumen. Er war zur Abnahme des Hauses zurückgekommen und hatte das Paar getroffen. Der Mann ein junger Gehirnchirurg sagte wenig, aber er konnte sagen, was er wollte, erschien er doch immer wie abwesend. Die helle Frau dagegen war von so ausgesprochener Schönheit, wie sie sich Walter kaum vorstellen konnte. Sie war Französin und sprach ein klares, nur manchmal etwas hoch gedrehtes, verfremdetes Deutsch. Walter wusste genau, wenn sie nicht die Kamine mit Dauerbefeuerung hochgeheizt hatten, mussten sie sehr gefroren haben, denn die dicken Wände aus Granit und Kalkstein waren schwer warm zu bekommen. Er hatte sie davor gewarnt. Erstaunlich, als dieses Thema angeschnitten wurde, beschwerte sie sich nicht. Walter war sich sicher, jede Frau hätte sich beschwert, sie aber sagte, sehr zutraulich und als wollte sie ihren Mann zum Schweigen verdammen, „wir haben uns in der Welt Ihres Steinhauses sehr wohl gefühlt! Eine unglaubliche Atmosphäre, die wir nie vergessen werden. Ein visionäres Gesamtwerk, oder wie? Natur und Arbeit, zusammen, total gut! Wie kommen Sie da aber zurecht?“ Walter wartete kurz, ob der Mann wohl etwas sagen würde. Es kam aber nichts. „Sie sehen es ja“, sagte er dann kurz, „manchmal muss ich fliehen und mir eine ganz andere Behausung suchen, wie etwa jetzt an der ligurischen Küste.“ „Ach aber auch“, sagte sie mit einer bestimmten, neugierigen Bescheidenheit, „das ist ja fabelhaft interessant! Nur, ich meinte auch, was machen Sie den lieben langen Tag in diesem Haus, wenn Sie da sind?“ Sie blickte ihn überaus nachdrücklich an. „Ich meine l‘ennui, diese Langeweile?“ Walter lächelte etwas verunsichert und zog bedauernd die Schultern hoch, „Niemand, außer Ihnen, will das wissen!“ Nach einer kurzen Weile setzte er begütigend nach: „Stellen Sie sich vor, ich würde das gar aufschreiben, dass ich manchmal vor Langeweile oder Einsamkeit weinte? Furchtbar! Aber wir“, er blickte nun auch sie an, „wir sind eben solche Menschen, wir brauchen das“.
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Sie sagte, „Wir werden Ihr Haus, diese Maria oder Mayra Falco auf jeden Fall sehr positiv empfehlen. Natur ist doch wunderschön“, sagte sie, „durften sogar ein Reh und Raubvögel sehen. Unglaublich!“ Und dann fragte sie ihn, „Wie sind Sie auf Frassino gekommen, es ist schon sehr verlassen, und es kommen ja keine Touristen dahin? Und dieses grobe Natursteinhaus, in dieser abgelegenen Bergwildnis, wo normalerweise auch keine Touristen hinkommen?“ Da antwortete er, „ich musste aus persönlichen Gründen 1984 mein kleines Haus im Aosta-Tal verkaufen, durch einen FAZ-Bericht wurde ich 2000 an dieses alte Haus in den Bergen am Monte Rosa erinnert. Plötzlich musste ich wandern, über die  Höhen des Val Varaita hinüber zur Po-Quelle, dort begann ich unter dem Monviso wieder einmal zu suchen…
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Es ist eine lange Geschichte, wenn ich sie aufgeschrieben habe, werde ich Sie Ihnen zuschicken!“ „Danke, ich bitte darum. Warum aber schreiben Sie da überhaupt diese Geschichte?“ Sie gab nicht auf. Sie saßen zusammen in der Bar Spada Reale, der einzig geöffneten Bar in Frassino, ihr Mann musste allein zum Alimentari gegenüber, sie wollte partout nicht mit ihm gehen, sie sagte, sie käme nach. Sie insistierte, als ihr Mann weg war, Walter musste antworten: „Nein es ist nicht nur die Geschichte dieses Hauses“ fühlte er sich zu antworten bemüßigt, „es ist die Geschichte von mehreren Häusern über die Jahre hinweg. Sie kennen das ja, diese Nostalgie von deutschen Intellektuellen und Professoren, ein Haus in der Stadt, wo sie arbeiten, ein Haus im Dorf der Eltern oder im eigenen Geburtsort gar, ein Haus an der Promenade oder um mit Gästen zusammen zu sein, in einem modisch gewordenen Luftkurort oder so und dann noch ein ganz kleines, abseits im Waldhügel gelegenes Sommerhaus ganz aus Holz, das einsames Arbeiten mit einem Blick in die Natur ermöglicht und höchstens den Besuch im engsten Familien- und persönlichen Freundeskreis zulässt.“ Ungeduldig griff sie ein: „Sie weichen schon wieder aus, meine Frage bezog sich allein auf das Natursteinhaus in Frassino, es trifft ja auf keinen der von Ihnen umschriebenen Idealtypen zu!“ „Ja“, sagte er und wunderte sich im Stillen, wo eine Französin dieses Wort her haben konnte, „ich wollte ja nur darauf hinweisen, dass der eigenartige Hang von Professoren etwa nach Besitz von Häusern an verschiedenen Orten und in verschiedenen Lagen etwas mit ihrer intellektuellen Nostalgie zu tun haben muss, mit einem Innen, das am Schreibtisch hängen bleibt und das auf sonderbare Art nicht nur von geistiger Nahrung wie Bücher und Musik gespeist wird, sondern auch von diesem erfahrungsreichen, wandernden Blick nach draußen abhängig ist.“ 
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„Monsieur!“, sie wurde fast laut, „das Haus? Wie dahin? Von wem?“ Walter beeilte sich jetzt zu antworten, „Es ist nun einmal so, dass ich dahin gefahren bin, um nach einem kleinbäuerlichen Steinhaus zu suchen, ähnlich dem, wie ich es schon im Aosta-Tal hatte. Die Umstände - ich werde in meiner Geschichte ja noch darauf im Detail zurückkommen - wollten es aber anders, sodass ich hier hängen geblieben bin. Später habe ich Aufzeichnungen, Vertragsabschriften und Briefe - wüst eingerollt in vergilbtes Zeitungspapier - in einem am Dachstuhl hängenden großen Zinkeimer gefunden, alles nach 1806, da fing es an, Schriften aus Frassino, nach Turin, Savoyen, ja Paris,  und wenn man sich in den Inschriften der Bergkirchen umsieht, scheint alles hier nur von Napoleon erbaut zu sein und die Kinder sind früher schon immer in das aufstrebende Paris geschickt worden, zum Schornsteinfegen, oder gar verkauft worden an die reicheren Bauern im Bellino oben am Colle d’Agneau, zur Grenze nach Frankreich hin. Und ein verlassenes Dorf hier in der Nähe heißt doch wirklich Parigi/Paris. Da gab es literarische Reminiszenzen, Kriegserinnerungen von Söldnern, ausgebeuteten Exilanten - große Geschichte also. Und der Signore Geometra, ein selbstvergessener ehemaliger Sympathisant der „Lotta Continua“ und sein Bürgermeister, auch der links, von damals, alle sprechen sie Französisch,  alle meinten, ich würde zu diesem Preis niemals mehr ein solches Haus, einen solchen Besitz haben können. Nur mir ganz speziell würden sie zu dieser Gelegenheit verhelfen. Praktisch, man brauche ja nur ein, zwei Zimmer auszubauen, oder einen ‚fienile‘, einen Heuboden, und dann hätte ich schon eine Wohnstatt zum Arbeiten und immer noch dieses Grundstück nach Süden, völlig allein mit Wiesen und Wald und dem wunderbaren Berg gegenüber. War das nicht ein Blick? Ja, dann hatte ich dieses Ding, und musste über Jahre mehr Zeit und Energie in den Ausbau stecken, als einem unbeholfenen Professor anstand…“ Er konnte sie damit nicht beruhigen.
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„Nein“, sagte sie, „ich meine das sehr konkret, von wem haben sie das Anwesen gekauft?“ „Nun ja, von zwei Cousins, ihr gemeinsames Erbe, beide arbeiteten und lebten als Maurer in Paris. Auch das erinnerte mich wieder an diese Migranten-Schicksale aus den Alpen, wie sie bei Musil und Balzac beschrieben sind: Väter Maurer, Kinder Schornsteinfeger. Sie können sich nicht vorstellen, das Haus hatte 20 Jahre leer gestanden, aber das Stück eines abgeschnittenen Stierhorns habe ich über dem Türbalken des Eingangs zur Küche gefunden. Diesem  katholisch-heidnischen Zeichen werde ich in meiner Geschichte ein ganzes Kapitel widmen, und wie viel 10 000 Lire-Scheine im Mauerwerk versteckt waren, Heere von Grappa und Weinflaschen überall, alle leer, verstreut, auch da, wo man es sich nicht hätte erdenken können. Wie viel habe ich emotional und materiell in dieses Haus gesteckt!“
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„Ja“, sagte sie, „wollen Sie es nicht verkaufen?“ „Um Gottes Willen“, war die Antwort, „schon allein deshalb nicht, weil ich den blauen, gegen den weißen Schnee ausknospenden Enzian, die aus der Schneeschmelze halb steif und behäbig in die erste Sonne hervorkriechenden gelb-schwarzen Salamander, die sich aus den Dächern hervor kratzenden Siebenschläfer, die Bussarde und Falken und die Rehböcke nicht vermissen könnte, ganz zu schweigen von der Steinpilz-Polenta, dem Wildragout, dem Dolcetto oder, oder, …all das und auch die vielen Freunde will ich nicht aufgeben.“ Sie lachte und sagte schmunzelnd, „Sie werden verkaufen, da bin ich mir ganz sicher! Natürlich aber erst, wenn Sie ihre Geschichte fertig und mir zugesandt haben. Und übrigens, da bin ich auch ganz sicher, Sie haben noch gar keine Geschichte, Sie lassen sich nur von meiner Neugier anregen, obwohl Sie die bloße Angst davor haben, zu viel von sich preiszugeben!“ „Da ist etwas dran“, sagte er und schloss vorläufig mit der Idee ab, die geplante Geschichte über die deutschen Intellektuellen und ihre Häuser, über die Brüder Alfred und Max Weber, die Richthofen-Schwestern, und den Edgar Jaffé am Vorabend des Ersten Weltkriegs zu schreiben. Da war eine Geschichte, hatte er gedacht, wie wäre es, zum Beispiel den Häusern dieser nostalgischen Besitzwesen die weit ausgreifende Seele, diese herumschwirrende, unruhige Sicht der wandernden, Nichts-besitzenden Libertinisten und Anarchisten Otto Gross und D.H. Lawrence gegenüber zu stellen. Darauf auch nur hinzuweisen, konnte er der Französin nicht zumuten, glaubte er, obwohl sie ein so wunderbares Deutsch sprach, dass sie es nicht von ihrem Mann gelernt haben konnte. Er selbst schüttelte jetzt nur innerlich den Kopf: Nein, was für eine verwegene Idee von einer Geschichte!
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Da kam ihr Mann zurück, er hatte den Proviant für die Reise eingekauft, sie erhoben sich und gingen ihm entgegen. Walter zahlte noch an der Theke und ging auf den ihm so fremd gebliebenen Mann zu, gratulierte ihm zu seiner großartigen Frau und war völlig erstaunt als ihm zur Antwort die Frage kam, „bleiben wir in Verbindung?“ „Ich hoffe es sehr“, antwortete Walter, „ich kann mich ja jeder Zeit wieder ans Meer davonstehlen“. „Oder auch hier bleiben!“ sagte die Frau, „warum nicht?“ Und jetzt lachten alle drei doch recht herzlich zusammen.  

          

11.01.2014

Noch bin ich da

Und Sonnen
Spiegeln sich im Zweigesbruch
Saum meines Wegs

Verwegene Spiele jagen
Über Sand und Laub

Raspelnd dürres Holz und Rinden
klirren unter
Meiner Füße Schritt

Kein bleicher Sommer
Noch Winter

Wenn Wiesen auch
Kläglich leuchtend
Den Hauch von Wärme tragen

Noch bin ich
Wieder da


M.E. Strougthon