22.06.2014

Der Grüneburg-Park und die Brunnen, Vasen und Urnen des Lebens

Wir gehen fast jeden Sonntag da vorbei, die schnellen Blicke dorthin vergessend, da stehen sie diese Vasen und Brunnen des Lebens, während wir vorbeihuschen, mit dem Rad oder ohne, mit Hund oder ohne, trimm trabend oder auch nur flanierend, vorbei, kaum, dass wir uns ihrer erinnern. Dann passiert auch das, das nähere Hinsehen und in Gedanken nach Flaneurs-Art ein Empfinden, ein Suchen nach Bedeutung und Sinn. Worum handelt es sich eigentlich? Könnten es, diese hier eingeritzten Bilder, Versuche sein, eine verlorene Zeit am Leben zu halten?  In Stein geritzte, nackte Menschenkörper aus anderen Zeitaltern, so nebenbei in dieser gestalteten Natur des Parks zu erhalten, sie zurückzubringen gar als Merkbilder massenartiger orgiastischer Liebeskulte aus einer alten, offenen Welt? 



 
Das Petit Palais der Grüneburg wurde, so steht es auf einem Stein, 1856 fertiggestellt. Man fragt sich, ob etwa in der Mitte des 19. Jh. noch, als man dieses kleine Schlösschen in die stille Welt der Hügel überm Frankfurter Westend gebaut hatte, ein Blick zurück noch lebendig war? Frühe Antike? Bewegter Anteil am ‚Orient‘, an dieser orgiastischen Welt des Méditerranée? Welche alten Standpunkte und Visionen sollten hier etwa im steinernen Abdruck noch erlebbar gehalten werden?
Andere würden sich fragen, was soll der Kitsch? Diese als Ur-Reste früher Kultur uns vorgestellten Erscheinungen, sind sie doch nichts anderes als die rohe Schein-Kunst eines schlechten Steinhauers?  Wiederum andere könnten fragen, ob es sich nicht doch um künstlerische Vorstellungen handelt, aus jenem Teil der Welt, die die damals gerade der kolonialen Besatzung anheimgefallen war. Als handelte es sich um ins Große übersetzte Rollensiegel. Widerspiegelungen der einst so hohen hethitischen Kunst. Übersetzungen der einst authentischen Insignien von Macht? Und doch Körperbilder sich liebender Menschen, Einzelne in der Masse, nackt in Gottes Welt oft eng aneinanderhängend, In einen Rollenzirkel gepresst.
Und wer Wunderfantasie liebt, könnte sich fragen, erscheinen sie uns nicht wie Engel, die in die Kurve fliegend auf uns zukommen?
So lebendig können sie sein, bei all diesen Fragen, und doch sind sie platt in Stein gehauen und fast nebensächlich, als wären sie da vergessen worden, in den von uns allen so geliebten Naturgarten hinein gestellt.

Vom Grünen Berg zum Palais Grüneburg, das ist eine lange Geschichte mit vielen Wechseln unter den Eigentümern. Zuletzt die Zwangsenteignung einer jüdischen Familie 1935 durch die Stadt Frankfurt. Als das Palais 1944 nieder gebombt und zerstört schließlich als Park der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wurde, blieben vereinzelt, gleich wie man es nach Zustand und Scherben beurteilt, Brunnenschalen, Vasen oder Urnen,  drei oder vier Stücke im Park stehen. Erhalten sind sie in nächster Nähe der auf der Rasen und Rosen getragenen Gedenkfläche, unter der die Ruinen des Schlosses noch lagern müssten.
Wenn man Halt macht und sich fälschlich erinnert, kommt einem bei den gezeigten Steinmenschen und Tieren, neben der Sache mit dem Rollensiegel der hethitischen Fürsten, auch ein Kriegsbild des großen französischen Malers Picasso von 1936 in den Sinn, das Bild, das Tier und Mensch, Ruinen und Licht, auf schlagend zyklischer Weise in einer modernen Kriegsszene vermischt. Vor allem aber das Rund der oben auf der Fläche stehenden breiten Schale enthält so archetypisch, ineinander geschüttelte Formen, und wenn sie auch Liebe überall zeigen, so haben sie doch auch dieses archaische Körperspiel. Man verzeihe es uns, in dieser aufgewirbelten, rollenden Form, stehen sie den Impressionen des Guernica-Gemäldes von  Picasso in nichts nach. Sie vermitteln  in gleicher Schärfe, wenn auch eben in ganz anderer szenischer Komposition, das Gefühl von der archetypischen Körperlichkeit des Menschen, ein Gefühl, das uns heute aus den Kriegsbildern vom Orient wieder entgegenschlägt!

Neben der eindrucksvollen Rundschale, nur wenige Meter davon entfernt, wurde 1968,  in der Zeit des Drangs nach neuer, freierer, offener Welt, für den Frankfurt gerade damals so sehr einstand, ein eigenartig karg-rationales Mahnmal errichtet. Eine kantige Gedenkstele aus schwarzem Holz steht neben der Schale mit den rotierenden Körpern des orientalischen Fests und Glücks, als brauchte es ein Stück puritanischer Trauer auf dieser Rasenfläche über der Palais-Ruine. Und so erinnert die dunkle Stele an die Kriegsnacht, in der dieses einst von jüdischen Mitbürgern der Stadt geeignete Bauwerk vollends zerstört wurde. 
Von weit her erheben sich der Fernsehturm nach Norden und nach Süden der Messe- und die Bankentürme über das unvergleichliche je nach Jahreszeit grüne, aber immer wild bunte Parkgelände. Dieses wird nun unter grün-roter Stadtführung einer vollständigen Erneuerung unterzogen. Da war es uns ein Anliegen, eben noch auf diese, von ihrer „Überlebensgeschichte“ her so anregend planlos verorteten, archetypischen und visionären Schätze im Grüneburg-Park hinzuweisen.   
 

03.06.2014

Porridge oder Haferschleim


Einmal, so stell dir vor, an einem Morgen kam Maurice zu Amalso, er war ganz weinerlich. Er sagte, „Ich hatte heute Porridge zum Frühstück, ist mir aber nicht bekommen.“ Amalso war erstaunt, „Porridge? Ist das etwa dieser Haferschleim, mit dem man uns in den ersten Nachkriegszeiten ans Leben gewöhnt hat?“ „Ja, du weist es ja, in meiner englischen Umgebung hieß das Porridge, ich habe das Wort und später auch die Speise geliebt. Als ich meine Kinder groß zog, war Porridge einfach „in“!
„Es kann aber doch nicht sein, dass du nur gekommen bist, um mir das mitzuteilen.“ „Nein, stell dir einmal vor, da hat sich doch jemand über den „englischen“ Namen meines Verlags mokiert. Er hat zwar gemeint, über Namen dürfe man sich nicht ungestraft mokieren, hat es aber dann doch getan, und meint wohl auch, so davon zu kommen.“ „Was meinst du? War dies nun zu Recht?“ „Ich bin mir nicht sicher. Es ist ja nicht nur eine Frage des Anstands, aber ich glaube, er versteht das Wort, er versteht den Namen nicht. Ein gebildeter Mensch, aber er verlässt sich nur auf Langenscheid oder Schöffler-Weis!“ „Das tun doch alle, also hat er gar nicht so Unrecht!“ „Kann sein! Jedenfalls übersetzt er „vantage point world“ als „Vorzugspunkt Welt“, es entgeht ihm dabei, dass es sich um eine amerikanische Wendung handelt, die Amerikaner haben dem Wort aber dabei den Ruch des Vorurteils, als handele es sich um „Rang“, genommen, sie sprechen neutral von „vantage point“, wenn es sich um Standpunkt, Perspektive oder Blickwinkel handelt. Jedenfalls bin ich der Meinung, dass mein Geliebter Henry James, es immer so nahe meint mit diesem Wort, und es immer dann anbringt, wenn es sich um einen Observierungspunkt handelt, in den sich eine Person rückt. Jedenfalls ist diese Sache der Vorteilsnahme, die man mit „advantage“ im Ohr hat, im Amerikanischen, eben „vantage point“, ganz weg.“ „Da soll einer schlau draus werden! Dein Kritiker hat Recht“ meinte Amalso, „ich bin sicher, du hast den Namen nur gewählt, um dir einen „google“-Vorteil zu verschaffen!“
„Das ist gehässig!“ antwortete Maurice und spürte, dass er jetzt entschlossen ein vom Porridge herkommendes Magendrücken zu bewältigen hatte. Er fügte hinzu: „Wie, wenn man jeden, der Moshe, Chris oder Muhammad heißt, einen falschen Propheten nennen würde, was? Oh, man könnte viele Rachegelüste wecken und vielleicht sogar bestraft werden! Verstehst du es, es ist dumm, sich über Namen zu mokieren, da hat der Kritiker Recht, gerade dann, wenn man in der Sucht als Prophet des deutschen Sprachraums aufzutreten, den Wörtern ihren Lebensraum in der Welt nehmen will.