13.12.2015

ASHRAF FAYADH UND WIR von M.E. Stroughton


Im Flug über Anatolien kam es wie eine Anmutung aus einer anderen Zivilisation an, die Nachricht im Daily Star/Hürriyet, Istanbul, an marginaler Stelle auf wenig Platz, aber in lesbarem Englisch: Ein gültiges Todesurteil war gegen Ashraf Fayadh, den Dichter aus Palästina, verhängt worden, ein Dichter war zur Exekution mit dem Krummschwert freigegeben, in Riyadh, Königreich Saudi Arabien, der Hauptstadt eines sagenumwobenen Landes.
Wir Deutschen, die wir im romantischen Wahn von einer Kulturweltmacht forttaumeln, haben unseren Orient in den abstrakten Konstruktionen des Surrealismus verinnerlicht. Was bedarf es da noch des eigenen wirklichen Hinsehens. Von den sich ausweitenden Sanddünen des Hejaz schwelgten wir einst mit dem Dichter Abu Ala al-Ma’arri in der Vorstellung von göttlicher Kraft über dem sich ausdehnenden Frauenrücken. Von den seltsamen Einfällen harter Jungmänner auf harten blanken Kamelrücken, wie sie in die Täler zwischen den steinigen Hügeln des Landes nach Süden hin einfielen, vermittelten die Arabian Sands von Wilfred Thesiger einen ersten Eindruck. Was das Rub‘ al-Khali aber, das leere Qadrat, wirklich bedeutet, erfuhren wir, die 1968er Studenten, aus dem Mund von saudi-arabischen Kommilitonen an der Universität, Gießen zu gegebener Zeit damals: Massengräber von aus Flugzeugen hinausgeworfenen linken Aktivisten. Wer sich eine wirklich tiefe ’orientalistische‘ Realität in der religionspolitischen Konstruktion des Landes antun will, dem empfehlen wir Mohamad Asads Autobiographie  A Road to Mecca zur Lektüre, das Buch eines vom in den 1920er Jahren vom Kommunismus zum salafitischen Islam übergetretenen Wiener Journalisten.
Dieses Land, Saudi Arabien, liegt nunmehr in der Mitte des Herzens von Deutschland. Vergessen wir unseren Surrealismus und die Stil-gerechten Massage-Hallen über der Wüste. Nie verstanden wir so richtig, warum Hans-Christian Ströbele, das Gewissen der deutschen Republik, die Waffenverkäufe dahin, nebst sauditischen Merzedes- und Rheimetall-Beteiligungen, zwar bemäkelt, nie aber mit grundsätzlicher oder gar nachrücklich bewegender Empörung beanstandet hat. Wozu diese Waffen? Wir beschwichtigten uns mit der nicht minder surrealen Vorstellung von einem im Öl schwimmenden Popanz, Warenfetischsmus, Verschwendungsökonomie und ‘Tod der Moderne‘ , warum sollten nicht auch wir dabei sein, nicht auch verdienen? Alles ja nur ein Tanz der Simulation mit Wüsten-untauglichen Waffen! Oder war es nicht doch eine grüne Stuttgarter Kapital-Verschwörung oder die des farbenblinden Essener Hügels? Niemand weiß, woher die Mittel für ein so großartig augestattetes Frankfurter Institut zur Wissenschaftsgeschichte im Islam flossen. Gerüchte! Wer es wissen will, der suche und finde!
Merkwürdig nahmen sich die Meldungen aus der ersten Woche im Dezember aus. Als wäre es schon eine Ewigkeit her, sagte unser Vize-Kanzler angestrengt, dass es für uns Deutsche untragbar sei, dieses Land immer noch mit Stillschweigen zu unterstützen. Endlich atmen wir auf, ein befreiendes Wort, oder hatte Sigmar Gabriel, auch Sozialdemokrat und Wirtschaftsminister, etwa den Mund zu voll genommen? Haben wir uns nicht daran gewöhnt, wie längsthin schon seit den Tagen des letzten Irak-Krieges, alles was wir sehen, mit jenen Vertröstungen zu vergessen, es handele sich in Arabien immer nur um Unstimmigkeiten zwischen ‚lokalen‘ religiös und ethnisch Getriebenen, um Ressentiments von sich selbst ständig in den Paria-Stand versetzenden Arabern und Muslimen, um ein ehrwürdiges aber hilfloses Königreich aus alter Wüstenzeit, um Notwendigkeiten, die Ölquellen nicht versiegen zu lassen; endlos dieses Stillschweigen im Namen der Anerkennung der Religion, den unter den Nimbus, Verwalter der Heiligen Stätten des Muhammad zu sein, unerträglich florierenden, ewig Zweitracht spendenden Terrorstaat zu dulden. Versagen hier nicht unsere eigenen großartigen Traditionen des ‚Bildlichen Denkens‘, dass wir sehenden Auges nicht einmal mehr in der Lage sind, die apodiktischen Lügen der schamlos rechtfertigenden Kommentare aufzudecken? Die Maskeraden von „Bürgern“, von „Frauen“, von eingekauften „Experten“ und „Arbeitern“ in der sozialen Wirklichkeit zu verstehen, dürfte nicht schwer fallen. Aber wollen wir denn die uns ans Herz gewachsenen „Saudis“ verstehen, das Leben unter dem täglich im Petrolio wachsenden Heer von Geldsklaven, Halbsklaven und Skalven, die ständig schwankende, performative Masse der „islamischen“ Körper? Bleiben wir beim Charakter des „Wissenschaftler als Beruf“, und was hat er davon verstanden, wie seit 35 Jahren der salafitischen Mission Halbafrikas und Halbeurasiens in jedem Dorf, jedem Viertel die islamistischen Überzeuger die neue Spalt-Sprache auf die Zunge der Menschen legen und je nach Geschlecht, Hautfarbe und Tradition mit neuen Kleidungsstücken ihre Körper überdecken?  Man käme ins Schwindeln, wenn man das alles ernst nähme. Da hat der Viezekanzler recht, man dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, sagte er, und sinngemäß sagt er auch: Schließlich brauchen wir dieses Land ja noch. Gut, dann brauchen wir uns nicht mehr zu fragen, woher die schweren Toyotas und Humwees kommen, die wie vom Himmel in die Wüste zu fallen scheinen, die von Waffen und großen Menschen strotzenden fabrikneuen Limousinen unter schwarzen Silberfahnen? Woher? Für wen? Für welchen Zweck? Qui buono das Morden? Unvergesslich die Bilder dieser neuen Ästhetik des Totenkopfs, Schrecken der Moderne in der Wüste, und wie schlank gesellt dazu die spielerische Ästhetik des Straßenkampfs: Jeder hat Homs gesehen, auf besondere, perfektere  Art „schöner“ zerstört als die ausgebombten Städte in Deutschland. Aber haben wir es nicht verhindern können, dass ganze Generationen von Jugendlichen, in Dörfern und Stadtvierteln in Kellern und anderen Höllen von Internet-Cafes einer ausgetüftelten Medienindustrie verfallen gemacht und digital zu real lebenden Stadtguerilleros ausgebildet wurden. Fragen wir uns da immer noch, ob digitale Gewalt uns helfen könne, die lebendige zu verdrängen?
Dieser unser „Orient“, Teil unserer Weltmachtkultur, so wie wir ihn uns schon seit Karl May vorstellen, so wie wir ihn uns geformt haben und uns dabei ins Kleid der wahren Wüstenmenschen versetzt haben, das der wirklich großartigen Beduinen? Qui buono ... unsere jetzt plötzlich mordenden Waffen für den Frieden? Wo bleibt die widerstehende, die aufklärende Zivilgesellschaft? Wo sind die, denen wir so gerne folgen würden, die Bilder lesen und den Worten offene Augen folgen lassen?
Wie sich diese Bilder eben reihen, Vorstellungen und Nachrichten miteinander verbinden? Jetzt, beim Nachtflug über Ostanantolien nach Tehran ... Man wird sie nicht los, gerade hier nicht? Da jetzt bringt der Daily Star­/Hurriet, eine ‚globale‘ Errungenschaft  aus Istanbul,  am Montag, dem 7. November... ‚Inside Turkey‘ die Nachricht von einem erstaunlich zivilen Ereignis, an dem wir, die Freiheits-liebenden und Demokratie-besssenen Deutschen uns messen sollten: Eine Pressekonferenz von türkischen Intellektuellen unter Teilnahme des Künstlers Bedri Baykam findet statt, um an diesem Montag gegen das kürzlich in Riyadh  verhängte Todesurteil gegen den palästinensischen Dichter Ashraf Fayadh zu protestieren, die Öffentlichkeit gegen den Beschluß der Vollstreckung zu mobilisieren. (Bedri Baykam, Präsident der International Art Association, wird an diesem Montag, 7. Dezember um 11.30 im Piramid Sanat in Taksim, Istanbul, die Pressekonferenz eröffnen).
Der Dichter Fayadh wurde zuerst 2013 in Saudi Arabien verhaftet, nach seiner Freilassung dann 2014 erneut festgenommen und zu 4 Jahren Gefängnis und 800 Peitschenhieben verurteilt. Er hatte Einspruch eingelegt und wurde jetzt, als wäre es ein Gnadenstoß in einem Revisionsverfahren zum Tode mit alsbaldiger Vollstreckung verurteilt. Es muss gesagt werden:

ASHRAF FAYADH

Vier Jahre, wie?
Das wäre zu ertragen, wie?
Für ein paar an Gott zweifelnde Gedichte
Doch zu ertragen, wie?
Besonders im Gottesland der Wüste, was?

Ein paar plasphemische Worte
Im Café gesagt
Böswillig angeschwärzt
Am Ende gar vom Schergen selbst bestellt
Zum Donnerschlag!
Welcher sich noch Mensch nennender kann aber solche Tat verordnen

4 Jahre für einen vom Wort trunkenen Dichter, und 800 Peitschenhiebe
Wohl zu ertragen, wie?
Wer aber könnte das ertragen?
Ein im Wiskey ertrunkener Saudi-Prinz, der wohl ... genug schon abgestumpft ist, was?
An wieviel Tagen gar?
Wäre da nicht Vollstreckung
Mit Krummschwert
Eine Erlösung?

Vor 800 Hieben
Vor 800 Riemen
Vor 800 Striemen
Vor 800 blutüberströmenden Narben im Fleisch
Dichter unter Saudis?

Und wir, wir von fern, können es hören, spüren die Neugier des Plebs
Wo der große Scherge seine Schläge niederbringt
Auf die Schultern seines Opfers
Können wir das Bibbern und Zittern ertragen
Das wiederholte Schwingen der Luft unter den Hieben
Die verordnete Tat, unter der das Fleisch auf den Schultern platzt
Den im Blut verschwimmenden Rücken?

Und wir, die feinen deutschen Surrealisten?
Sagt der Vize-Kanzler,
Wir brauchen die doch noch! Die Saudis!
Wozu aber?