Im Flug über Anatolien kam es wie eine Anmutung aus einer anderen
Zivilisation an, die Nachricht im Daily Star/Hürriyet, Istanbul, an marginaler
Stelle auf wenig Platz, aber in lesbarem Englisch: Ein gültiges Todesurteil war
gegen Ashraf Fayadh, den Dichter aus Palästina, verhängt worden, ein Dichter war
zur Exekution mit dem Krummschwert freigegeben, in Riyadh, Königreich Saudi
Arabien, der Hauptstadt eines sagenumwobenen Landes.
Wir Deutschen, die wir im romantischen Wahn von einer Kulturweltmacht forttaumeln,
haben unseren Orient in den abstrakten Konstruktionen des Surrealismus
verinnerlicht. Was bedarf es da noch des eigenen wirklichen Hinsehens. Von den sich
ausweitenden Sanddünen des Hejaz schwelgten wir einst mit dem Dichter Abu Ala
al-Ma’arri in der Vorstellung von göttlicher Kraft über dem sich ausdehnenden Frauenrücken.
Von den seltsamen Einfällen harter Jungmänner auf harten blanken Kamelrücken,
wie sie in die Täler zwischen den steinigen Hügeln des Landes nach Süden hin einfielen,
vermittelten die Arabian Sands von Wilfred Thesiger einen ersten Eindruck. Was das Rub‘ al-Khali aber, das leere Qadrat, wirklich
bedeutet, erfuhren wir, die 1968er Studenten, aus dem Mund von saudi-arabischen
Kommilitonen an der Universität, Gießen zu gegebener Zeit damals: Massengräber
von aus Flugzeugen hinausgeworfenen linken Aktivisten. Wer sich eine wirklich
tiefe ’orientalistische‘ Realität in der religionspolitischen Konstruktion des
Landes antun will, dem empfehlen wir Mohamad Asads Autobiographie A Road
to Mecca zur Lektüre, das Buch eines vom in den 1920er Jahren vom
Kommunismus zum salafitischen Islam übergetretenen Wiener Journalisten.
Dieses Land, Saudi Arabien, liegt nunmehr in der Mitte des Herzens von
Deutschland. Vergessen wir unseren Surrealismus und die Stil-gerechten Massage-Hallen
über der Wüste. Nie verstanden wir so richtig, warum Hans-Christian Ströbele,
das Gewissen der deutschen Republik, die Waffenverkäufe dahin, nebst
sauditischen Merzedes- und Rheimetall-Beteiligungen, zwar bemäkelt, nie aber
mit grundsätzlicher oder gar nachrücklich bewegender Empörung beanstandet hat.
Wozu diese Waffen? Wir beschwichtigten uns mit der nicht minder surrealen
Vorstellung von einem im Öl schwimmenden Popanz, Warenfetischsmus,
Verschwendungsökonomie und ‘Tod der Moderne‘ , warum sollten nicht auch wir dabei
sein, nicht auch verdienen? Alles ja nur ein Tanz der Simulation mit
Wüsten-untauglichen Waffen! Oder war es nicht doch eine grüne Stuttgarter Kapital-Verschwörung
oder die des farbenblinden Essener Hügels? Niemand weiß, woher die Mittel für
ein so großartig augestattetes Frankfurter Institut zur Wissenschaftsgeschichte
im Islam flossen. Gerüchte! Wer es wissen will, der suche und finde!
Merkwürdig nahmen sich die Meldungen aus der ersten Woche im Dezember aus.
Als wäre es schon eine Ewigkeit her, sagte unser Vize-Kanzler angestrengt, dass
es für uns Deutsche untragbar sei, dieses Land immer noch mit Stillschweigen zu
unterstützen. Endlich atmen wir auf, ein befreiendes Wort, oder hatte Sigmar
Gabriel, auch Sozialdemokrat und Wirtschaftsminister, etwa den Mund zu voll
genommen? Haben wir uns nicht daran gewöhnt, wie längsthin schon seit den Tagen
des letzten Irak-Krieges, alles was wir sehen, mit jenen Vertröstungen zu
vergessen, es handele sich in Arabien immer nur um Unstimmigkeiten zwischen
‚lokalen‘ religiös und ethnisch Getriebenen, um Ressentiments von sich selbst
ständig in den Paria-Stand versetzenden Arabern und Muslimen, um ein
ehrwürdiges aber hilfloses Königreich aus alter Wüstenzeit, um Notwendigkeiten,
die Ölquellen nicht versiegen zu lassen; endlos dieses Stillschweigen im Namen
der Anerkennung der Religion, den unter den Nimbus, Verwalter der Heiligen
Stätten des Muhammad zu sein, unerträglich florierenden, ewig Zweitracht
spendenden Terrorstaat zu dulden. Versagen hier nicht unsere eigenen
großartigen Traditionen des ‚Bildlichen Denkens‘, dass wir sehenden Auges nicht
einmal mehr in der Lage sind, die apodiktischen Lügen der schamlos rechtfertigenden
Kommentare aufzudecken? Die Maskeraden von „Bürgern“, von „Frauen“, von
eingekauften „Experten“ und „Arbeitern“ in der sozialen Wirklichkeit zu
verstehen, dürfte nicht schwer fallen. Aber wollen wir denn die uns ans Herz
gewachsenen „Saudis“ verstehen, das Leben unter dem täglich im Petrolio wachsenden
Heer von Geldsklaven, Halbsklaven und Skalven, die ständig schwankende, performative
Masse der „islamischen“ Körper? Bleiben wir beim Charakter des „Wissenschaftler
als Beruf“, und was hat er davon verstanden, wie seit 35 Jahren der salafitischen
Mission Halbafrikas und Halbeurasiens in jedem Dorf, jedem Viertel die
islamistischen Überzeuger die neue Spalt-Sprache auf die Zunge der Menschen legen
und je nach Geschlecht, Hautfarbe und Tradition mit neuen Kleidungsstücken ihre
Körper überdecken? Man käme ins
Schwindeln, wenn man das alles ernst nähme. Da hat der Viezekanzler recht, man
dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, sagte er, und sinngemäß sagt er auch: Schließlich
brauchen wir dieses Land ja noch. Gut, dann brauchen wir uns nicht mehr zu
fragen, woher die schweren Toyotas und Humwees kommen, die wie vom Himmel in
die Wüste zu fallen scheinen, die von Waffen und großen Menschen strotzenden fabrikneuen
Limousinen unter schwarzen Silberfahnen? Woher? Für wen? Für welchen Zweck? Qui
buono das Morden? Unvergesslich die Bilder dieser neuen Ästhetik des Totenkopfs,
Schrecken der Moderne in der Wüste, und wie schlank gesellt dazu die
spielerische Ästhetik des Straßenkampfs: Jeder hat Homs gesehen, auf besondere,
perfektere Art „schöner“ zerstört als
die ausgebombten Städte in Deutschland. Aber haben wir es nicht verhindern
können, dass ganze Generationen von Jugendlichen, in Dörfern und Stadtvierteln
in Kellern und anderen Höllen von Internet-Cafes einer ausgetüftelten
Medienindustrie verfallen gemacht und digital zu real lebenden Stadtguerilleros
ausgebildet wurden. Fragen wir uns da immer noch, ob digitale Gewalt uns helfen
könne, die lebendige zu verdrängen?
Dieser unser „Orient“, Teil unserer Weltmachtkultur, so wie wir ihn uns schon
seit Karl May vorstellen, so wie wir ihn uns geformt haben und uns dabei ins Kleid
der wahren Wüstenmenschen versetzt haben, das der wirklich großartigen Beduinen?
Qui buono ... unsere jetzt plötzlich mordenden Waffen für den Frieden? Wo bleibt
die widerstehende, die aufklärende Zivilgesellschaft? Wo sind die, denen wir so
gerne folgen würden, die Bilder lesen und den Worten offene Augen folgen
lassen?
Wie sich diese Bilder eben reihen, Vorstellungen und Nachrichten
miteinander verbinden? Jetzt, beim Nachtflug über Ostanantolien nach Tehran ...
Man wird sie nicht los, gerade hier nicht? Da jetzt bringt der Daily Star/Hurriet,
eine ‚globale‘ Errungenschaft aus
Istanbul, am Montag, dem 7. November...
‚Inside Turkey‘ die Nachricht von einem erstaunlich zivilen Ereignis, an dem
wir, die Freiheits-liebenden und Demokratie-besssenen Deutschen uns messen
sollten: Eine Pressekonferenz von türkischen Intellektuellen unter Teilnahme
des Künstlers Bedri Baykam findet statt, um an diesem Montag gegen das kürzlich
in Riyadh verhängte Todesurteil gegen den
palästinensischen Dichter Ashraf Fayadh zu protestieren, die Öffentlichkeit
gegen den Beschluß der Vollstreckung zu mobilisieren. (Bedri Baykam, Präsident
der International Art Association, wird an diesem Montag, 7. Dezember um 11.30
im Piramid Sanat in Taksim, Istanbul, die Pressekonferenz eröffnen).
Der Dichter Fayadh wurde zuerst 2013 in Saudi Arabien verhaftet, nach
seiner Freilassung dann 2014 erneut festgenommen und zu 4 Jahren Gefängnis und
800 Peitschenhieben verurteilt. Er hatte Einspruch eingelegt und wurde jetzt,
als wäre es ein Gnadenstoß in einem Revisionsverfahren zum Tode mit alsbaldiger
Vollstreckung verurteilt. Es muss gesagt werden:
ASHRAF FAYADH
Vier Jahre, wie?
Das wäre zu
ertragen, wie?
Für ein paar an
Gott zweifelnde Gedichte
Doch zu
ertragen, wie?
Besonders im
Gottesland der Wüste, was?
Ein paar
plasphemische Worte
Im Café gesagt
Böswillig
angeschwärzt
Am Ende gar vom
Schergen selbst bestellt
Zum
Donnerschlag!
Welcher sich
noch Mensch nennender kann aber solche Tat verordnen
4 Jahre für
einen vom Wort trunkenen Dichter, und 800 Peitschenhiebe
Wohl zu
ertragen, wie?
Wer aber könnte
das ertragen?
Ein im Wiskey
ertrunkener Saudi-Prinz, der wohl ... genug schon abgestumpft ist, was?
An wieviel Tagen
gar?
Wäre da nicht
Vollstreckung
Mit Krummschwert
Eine Erlösung?
Vor 800 Hieben
Vor 800 Riemen
Vor 800 Striemen
Vor 800
blutüberströmenden Narben im Fleisch
Dichter unter
Saudis?
Und wir, wir von
fern, können es hören, spüren die Neugier des Plebs
Wo der große
Scherge seine Schläge niederbringt
Auf die
Schultern seines Opfers
Können wir das
Bibbern und Zittern ertragen
Das wiederholte
Schwingen der Luft unter den Hieben
Die verordnete
Tat, unter der das Fleisch auf den Schultern platzt
Den im Blut
verschwimmenden Rücken?
Und wir, die feinen
deutschen Surrealisten?
Sagt der
Vize-Kanzler,
Wir brauchen die
doch noch! Die Saudis!
Wozu aber?